Demenz und Alzheimer-Krankheit

Wir alle vergessen

„Wo habe ich denn nur meine Geldbörse hingelegt?“ Herr Schmidt geht von einem Zimmer ins andere, er hat schon überall in der Wohnung gesucht, aber er kann sich nicht mehr daran erinnern, wo er am Abend zuvor sein Portemonnaie gelassen hat.

Als er seine Hand in die Jackentasche steckt, atmet er erleichtert auf: „Da ist es ja!“ Herr Schmidt ist fünfunddreißig Jahre alt.

Diese Form der Vergess­lichkeit ist normal. Manchmal sind es Namen, die vergessen werden oder man geht in einen anderen Raum und weiß nicht mehr, was man dort wollte. Das Vergessen ist auf bestimmte Bereiche begrenzt und beeinträchtigt nicht die Bewältigung des Alltags.

Anders verhält es sich, wenn Menschen – besonders jenseits des 60. Lebensjahres – beginnen, mehrmals hintereinander dieselbe Geschichte zu erzählen, als wäre es das erste Mal oder immer wieder dieselbe Frage zu stellen ohne sich die Antwort merken zu können. Wenn auffällt, dass Fragen mit Gegenfragen oder ausweichend beantwortet werden oder wenn ständig etwas verlegt wird, dann können dies alarmierende Zeichen sein und man sollte den Arzt aufsuchen.

„Warum geht denn diese Tür nicht auf?“ Immer wieder versucht Frau Meyer, den Schlüssel in die Tür zu stecken. Doch es gelingt ihr nicht. Es scheint wie verhext – der Schlüssel passt nicht ins Schloss. Sie hatte doch die Wohnung erst eine Stunde zuvor verlassen und jetzt geht die Tür nicht mehr auf. Sie ist überzeugt: Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Die Tür wurde manipuliert!

Ein anderer Bewohner des Hauses kommt gerade die Treppen herunter und fragt, ob er ihr behilflich sein kann. Frau Meyer äußert, dass sie Probleme mit dem Gehen hat. Der junge Mann bietet ihr seinen Arm an und langsam gehen sie einen Stock höher, zu der Wohnung mit dem Klingelschild „Meyer“.

Am Nachmittag besucht Frau Albrecht ihre Mutter.  Frau Albrecht, die Tochter von Frau Meyer, macht sich Sorgen. In letzter Zeit  fallen ihr einige Ungereimtheiten bei ihrer Mutter auf: Mehrmals hintereinander erzählt sie, dass an ihrer Tür manipuliert wurde und ihre Mutter ist dabei sehr aufgeregt. Sie kann jedoch an der Tür keine „Manipulationen“ feststellen. Hinzu kommt, dass sich die Briefe und Rechnungen bei ihrer Mutter stapeln, was früher nie vorkam. Auch hatte ihre Mutter früher gerne gekocht, doch jetzt erfindet sie ständig neue „Ausreden“: ‚Sie habe keine Lust zu kochen‘ oder ‚Sie hätte so viel zu tun!‘  Neulich hat ihre Mutter Hackfleischbällchen gemacht. Diese waren jedoch ungenießbar, weil sie völlig versalzen waren.

Frau Albrecht geht in die Küche, um Kaffee zu kochen. Sie hat Kuchen mitgebracht. Als sie den Kühlschrank öffnet, um Milch für den Kaffee zu holen, entdeckt sie dort das Telefon. Jetzt ist ihr alles klar: Darum also konnte sie ihre Mutter telefonisch nicht erreichen.

Wenn Probleme mit dem Gedächtnis bestehen, die zu Einschränkungen in der Alltagsbewältigung führen und damit über das „normale“ Vergessen hinausgehen, sollte der Hausarzt aufgesucht werden. Entweder stellt der Hausarzt/die Hausärztin selbst die Diagnose Demenz oder er/sie überweist an einen Neurologen/eine Neurologin oder an einen  Psychiater/eine Psychiaterin.

Auch andere Ursachen können Gedächtnisprobleme auslösen. Diese sind zum Teil behandelbar und damit reversibel, z.B.

  • Dehydratation (Flüssigkeitsmangel), was bei älteren Menschen gerade im Sommer oft ein Problem sein kann
  • Delir (akuter Verwirrtheitszustand) nach einer Operation oder als Nebenwirkung von Medikamenten
  • Depression und damit verbundener sozialer Rückzug und Desinteresse an den täglichen Dingen des Lebens
  • ein Tumor, der auf bestimmte Hirnregionen drückt


Wenn jedoch keine dieser Ursachen zutrifft und

  • die Anamnese (systematische Befragung) der Patientin, des Patienten und der Angehörigen ergibt, dass die Gedächtnisprobleme seit mindestens sechs Monaten bestehen und eine Veränderung der Persönlichkeit zu beobachten ist
  • die Computertomographie eine Hirnatrophie (Schrumpfung der Gehirnmasse) aufweist und
  • die Tests (MMST und Uhrentest) unter dem altersgemäßen Durchschnitt ausfallen


liegt mit sehr hoher Sicherheit eine Demenzerkrankung vor.

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Die wichtigsten Symptome einer Demenz sind:

  • Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit wie Gedächtnis, Denkvermögen, Orientierung, Sprache, Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen
  • Persönlichkeitsveränderung und Einschränkungen, den Alltag zu bewältigen


Die Alzheimer-Krankheit ist mit knapp 70% die häufigste Ursache einer Demenz. Andere Demenzformen sind:

  • vaskuläre Demenz
  • Frontotemporale Demenz und
  • Lewy-Body-Demenz


Das Alter stellt das größte Risiko dar, an einer Demenz zu erkranken. Bei den 75- bis 79 jährigen sind ca. 6 % betroffen. Bei den über 90-Jährigen ist es schon jeder Dritte.

Der deutsche Nervenarzt Alois Alzheimer (1864 – 1915) stellte 1906 das Krankheitsbild erstmalig vor und beschrieb Ablagerungen von so genannten Plaques sowie Verklumpungen (Tau-Proteine) in den Nervenzellen.

Festgestellt hatte er diese Veränderungen im Rahmen der Obduktion des Gehirns seiner Patientin Auguste D. Zu Lebzeiten zeigte sie Symptome wie schwere Gedächtnis- und Orientierungsstörungen sowie Halluzinationen. Als sie starb, war Auguste D. erst 56 Jahre alt.

Wie entsteht die Alzheimer-Krankheit?

Feh­ler­hafte Stoffwechselvorgänge führen zum Untergang der Nervenzellen. Ein Be­stand­teil der Zellhaut wird an falscher Stelle gespalten. Die so entstandenen Bruch­stücke lagern sich zu einer für die Nervenzellen schäd­lichen Masse (Amyloid) zusammen. Aus einem normalen Eiweiß bildet sich innerhalb der Ner­ven­zellen ein Faserknäuel, das die Lebensvorgänge der Zelle lahmlegt. Verstärkt wird der Prozess dadurch, dass durch das Ab­sterben der Nervenzellen im Gehirn mehrere Überträgerstoffe fehlen, vor allem das Acetylcholin, ein Botenstoff, der für Gedächtnis und Aufmerksamkeit wichtig ist.

Der größte Risikofaktor an Alzheimer zu erkranken ist das hohe Alter. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, was an der Tatsache liegt, dass Frauen länger leben.

Ist die Alzheimer-Krankheit erblich?

Eine bestimmte Variante der Blutfettregulierung (Apolioprotein 4) begünstigt die Ablagerung von Amyloid. Genetische Faktoren können das Krankheitsrisiko erhöhen ohne aber Auslöser dafür zu sein.

Nur bei weniger als 3 % aller Krankheitsfälle liegt eine erblich bedingte Form der Alzheimer-Krankheit vor. Die Mutationen (Veränderungen des Erbgutes) liegen auf den Chromosomen 1, 14 oder 21. Auch hier kommt es zur Überproduktion eines Eiweißes (beta-Amy­loid), das die Nervenzellen zerstört. Bei solchen Alzheimer-Familien sind meist mehr als drei ähnliche Krankheitsfälle in verschiedenen Generationen nach­weisbar. Die Symptome treten bei den Betroffenen vor dem 60. Lebensjahr auf.

Infoblatt 4: Genetik → zum Download

Da Demenzerkrankungen schleichend beginnen, werden die Anfänge häufig übersehen oder nicht als Anzeichen einer Krankheit erkannt.

Frau Meyer ist einverstanden, mit ihrer Tochter zum Arzt zu gehen. Nach einer gründlichen Untersuchung stellt der Neurologe fest: Frau Meyer hat eine beginnende Demenz vom Alzheimer-Typ.

Frau Albrecht ist erschrocken. Sie hat sich diese vielen kleinen „Aussetzer“, die sie bei ihrer Mutter wahrgenommen hat, damit erklärt, dass das eben so ist im Alter, dass man vergesslicher wird. Dass ihre Mutter immer das Gleiche erzählt, erschließt sich, weil ihr die Anregung fehlt. Ihre Mutter war mit ihrem Vater 45 Jahre verheiratet – kein Wunder, dass sie sich zurückzog, nachdem sie jetzt alleine war …..

Mit der Diagnose fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Nun ergab alles einen Sinn: die Hackbällchen, die komplett versalzen waren, obwohl ihre Mutter immer eine gute Köchin war; die gebrauchte Wäsche, die zwischen den gebügelten Sachen im Kleiderschrank lag oder das Telefon im Kühlschrank. Auch das Erlebnis ihrer 12jährigen Tochter Marie, fand nun eine Erklärung: Oma hatte sie in letzter Zeit öfter mal mit „Trudchen“ angesprochen. „Trudchen“ war die ältere Schwester ihrer Mutter, die vor einigen Jahren verstorben war. Ihre Mutter musste Marie mit ihrer Schwester verwechselt haben.

Wie ausgeprägt die Symptome sind und wie die Krankheit verläuft, ist individuell sehr verschieden. Auch die Gesamtdauer der Erkrankung schwankt sehr, von 3-4 Jahren bis zu 20 Jahren.

Als grobe Einteilung spricht man von frühem, mittlerem und spätem Stadium der Demenz.

 
Frühes Stadium

Zu den ersten Anzeichen einer Demenz gehören das Vergessen kurz zurückliegender Ereignisse (Kurzzeitgedächtnis) und die Schwierigkeiten bei der Wortwahl.

Vor allem in fremder Umgebung, z.B. beim Besuch einer fremden Stadt, machen sich Orientierungsschwierigkeiten bemerkbar. Schwerer fällt es auch, zielgerichtet zu handeln und sich nicht ablenken zu lassen. Viele Angehörige haben daher Sorge, dass z.B. beim Kochen der Herd angelassen wird und es zu einem Brand kommen kann oder dass verdorbene Sachen im Kühlschrank liegen und noch gegessen werden.

Die Erkrankten geben an, dass sie zu allem mehr Zeit brauchen, alles wird mühsamer. Das Schreiben von Briefen oder das Bezahlen von Rechnungen geht häufig nicht mehr allein.

Oft bemerken Demenzkranke selbst, dass nicht mehr alles so gut klappt. Sie sind unsicher und traurig. Sie versuchen, die Defizite zu verschleiern und gebrauchen häufig Floskeln oder Ausreden, um ihr „Gesicht zu wahren“.

 

Mittleres Stadium

Mit Fortschreiten der Erkrankung verschlimmern sich die Symptome. Traten die Orientierungsprobleme zu Beginn eher in fremder Umgebung auf, so finden sich die Betroffenen jetzt in ihrem eigenen Zuhause nicht mehr zurecht, wissen nicht mehr, wo die Toilette ist oder verwechseln die Reihenfolge der Kleidungsstücke, die sie anziehen wollen. Das Sprachverständnis nimmt stetig ab. Sie erkennen die eigenen Angehörigen nicht mehr oder suchen ihre längst verstorbenen Eltern oder Geschwister. Manche stehen mitten in der Nacht auf, weil sie glauben, sie müssten zur Arbeit oder sie wollen nach Hause gehen, obwohl sie zu Hause sind.

Es ist nicht immer einfach, die richtige Reaktion auf dieses Verhalten zu finden. Fühlen sich Demenzkranke unverstanden oder kommen belastende Erinnerungen von früher hoch, reagieren sie auch aggressiv. Oder sie kämpfen um ihre Selbstständigkeit und weigern sich, Hilfe anzunehmen.

„Warum verhält Oma sich auf einmal so merkwürdig?“ Marie ist traurig, denn ihre Großmutter freute sich sonst immer, wenn sie sie besuchen kam. Sie spielten zusammen oder Oma las eine Geschichte vor. In letzter Zeit kam es jedoch öfter vor, dass ihre Großmutter plötzlich laut wurde und mit ihr schimpfte. Sie hatte sich schon gefragt, ob ihre Oma sie überhaupt noch lieb hat. Ihre Mutter erklärt ihr: „Klar hat dich Oma lieb. Doch die Krankheit verändert sie und lässt sie manchmal wunderliche Dinge tun, wie z.B. sich mit der Zahnpasta das Gesicht eincremen, oder mit der Schuhcreme das Waschbeck­en putzen.“

Marie weiß nun, dass die Krankheit der Grund dafür ist, dass sich ihre Oma so anders verhält. Sie lernt immer besser, damit umzugehen und das „komische“ Verhalten nicht mehr persönlich zu nehmen.

 
Spätes Stadium

Im späten Stadium der Demenz sind die Betroffenen meist vollständig auf fremde Hilfe angewiesen. Essstörungen treten auf, das Sprechen reduziert sich auf wenige Worte oder Laute. Inkontinenz tritt auf und das Immunsystem ist sehr geschwächt. Wenn dann z.B. eine Lungenentzündung hinzukommt, besteht die Gefahr, dass sich die Erkrankten davon nicht mehr erholen. Pneumonie ist die häufigste Todesursache bei Menschen mit Demenz.

Bis heute gibt es keinen Schutz davor, an Demenz zu erkranken. Positiv scheinen sich jedoch auszuwirken:

  • geistige Aktivität,
  • körperliche Betätigung
  • in Gesellschaft mit anderen sein
  • eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse
  • die rechtzeitige Behandlung von Risiko-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzrhythmus­störungen, Depression, Schwerhörigkeit oder Diabetes mellitus.

Die Krankheit ist bislang nicht heilbar. Das Fortschreiten der Symptome kann durch Medikamente („Antidementiva“) vorübergehend hinausgezögert werden. Antidementiva hemmen den Abbau des Botenstoffes Acetylcholin und verbessern damit die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen.

Darüber hinaus gibt es Medikamente, die die Be­gleit­erscheinungen der Krankheit wie etwa Depressionen und Ängste mildern können.

Auch nichtmedikamentöse Ansätze können dazu beitragen, Fähigkeiten zu erhalten und die Lebensqualität der Kranken und ihrer Angehörigen zu verbessern. Dazu gehören Ergotherapie, Selbst-Erhaltungs-Therapie, Erinnerungs-, Kunst- und Musiktherapie. Von Bedeutung ist, dass dabei die Persönlichkeit und die individuellen Besonderheiten des Einzelnen berücksichtigt werden.

Zuwendung, Aktivierung und Beschäftigung, ein adäquater Umgang sowie eine demenzgerechte Gestaltung der Umwelt („Milieutherapie“) vermitteln den Kranken Sicherheit und Geborgenheit und sind daher besonders wichtig.

  • Demenz. Das Wichtigste – Ein kompakter Ratgeber → zum Download
  • Was kann ich tun? Tipps und Informationen bei beginnender Demenz. → zum Download